NGOLA BAR, 3 teilige Fotoinstallation von KILUANJIKIA HENDA 

Die Biennale in Venedig ist gut beraten, bei der Kombination von kuratierten großen Ausstellungen und parallel dazu den jeweils durch die Länder bespielten Pavillons (77) mit ihren jeweils eigenen Kuratoren zu bleiben. Das garantiert ein Fülle von Blickwinkeln und hat zumindest in diesem Jahr ein übergreifendes Profil: Think with Senses - Feel with the Mind. Art in Present Tense, das Thema von Robert Storr, dem ersten Direktor aus USA in mehr als 100 Jahren "Biennale di Venezia", wurde auch in vielen Pavillons angenommen. Es gibt Anmerkungen von Europäischen Lesern bezüglich amerikanischer Bestseller: Wenn man den Klappentext liest, weis man schon worum es im Buch gehen wird, hat man das Buch schon fast gelesen. Nun, Bücher werden ja zum Teil auch deswegen Bestseller, weil Die Erwartungshaltung die mit dem Thema aufgebaut wird griffig ist. So ähnlich verhält sich das auch mit Ausstellungsthemen. Geworden ist die 52. Biennale eine Ausstellung auf den zweiten Blick, wohl überlegt und anspruchsvoll, auf den ersten Blick vielleicht etwas mühsam.

Das Thema ist so offen, dass man viel Spielraum hat und dennoch so konkret, dass von beliebig keine Rede sein kann - es führt vielmehr wieder zurück auf die Stärken der Kunst, das intuitive Erfassen von Zeitgenossenschaft, den politischen Ausdruck (nicht der politischen Propaganda) den Freiheiten der Künste, die sich dem Diktat der Stunde, der Tages-Aktualität nicht beugen und dennoch ziemlich schonungslos den Spiegel vorhalten. Künstler müssen nicht jung sein, Werke müssen nicht gestern entstanden sein, aber aktuell was die Aussage betrifft, Stile, Technologien, Sozialarbeit, Definitionen, die von den Rändern her die Kunst in eine dienende Rolle bringen sind diesmal nicht angesagt. 

IT WOULD BE NICE TO DO SOMETHING IMPORTANT * SOMETHING POLITICAL?

Der Nordic Pavillon ist frontseitig von Toril Goksøyr und Camilla Martens zum bemerkenswerten Statement zum Thema der Nordländer: WELFARE - FARE WELL  komprimiert. 2 junge Frauen, ein wenig zu attraktiv und zu kühl, fragen ein wenig zu oberflächlich nach möglichen Lebensaufgaben. Das ist ganz feine Klinge, irritierend, weil nicht gleich zuordenbar, ist der ständig vor sich hinputzende Schwarze, der die Glasfront professionell reinigt.

Das Boot in den Wellen von bunten Glasscherben gestrandet, mit Regen?Wasser rot wie Blut vergessen worden, eine Installation von Maaria Wirkkala, auch das ein starkes Stück, beredt, aber nicht geschwätzig. Bilder zu sozialen Lagen, die viel Raum für persönliche Interpretationen lassen und dennoch unmißverständlich sind, kann man viele auf dieser Biennale finden. Auch die Figurengruppe von Yinka Shonibare vermittelt diese Vielschichtigkeit bei aller Klarheit, und da gibt es noch etliche Afrikaner bei "Check List Luanda Pop" in der Sammlung von Sindika Dokolo, und Vieles in den beiden Hauptausstellungen von Robert Storr.

Knappe, auf das Minimalste reduzierte Installationen, wie jene von Walterico Caldas (Brasilien) Half Mirror Sharp 2007, Un Luogo in 5 Sculture, Materiali vari, nehmen das Thema ebenso auf wie das Video von Paolo Canevari, der einen Jungen zeigt, der in einem abgewohnten Quartier mit einem Totenkopf allein und mäßig enthusiastisch Fußball spielt. Da Ideen verkörpert und Körper abstrahiert werden können, die Zwischenräume mit Spannung aufgeladen werden, wirken sie als Bühne für Stücke, die sich im Kopf entwickeln, angetörnt von den Ideen der Künstler.

Der Afrika-Schwerpunkt hatte sich aber schon im Vorfeld der Biennale zur Falle gewandelt, denn da wurden die früheren Aktivitäten des Sammlers Sindika Dokolo gelüftet. So werden Großevents dann wieder zu Politspielen jenseits der aktuellen Kunstwerke, die ja politisch genug sind, und eigentlich die volle Aufmerksamkeit verdienen würden. Es sind dann nicht mehr die Werke der Künstler die "Aufreger", sondern das Spiel hinter der Bühne der Kunst auf dem Politparkett und das spiegelt sich wieder in zynischen Kunst-Werken.

HOW TO BLOW UP TWO HEADS AT ONCE von YINKA SHONIBARE

Monika Sosnowska, Architektin, im Polnischen Pavillon, reagiert auf die aktuelle Praxis in den Ostländern, die unattraktive Gebäude mit neuen Fassaden versieht, gewisse Stile und Zeitgenossenschaften (60er Jahre) übergeht, eine Entwicklung die etwas verspätet wiederholt, was auch anderswo passiert ist. In "1:1" stellt, beziehungsweise quetscht sie eine Stahlkonstruktion in den Polnischen Pavillon in Venedig. Architekturästhetiken überlagern sich, das Konstrukt wird zur Skulptur, die ihres "Nutzens" beraubt, wie eine "neue" Zeichnung, in der "alten" Praxis der Satyre raumgreifend wird.

Felix Gonzales-Torres (1957-1996) repräsentiert die USA, nach dem Willen der Kuratorin Nancy Spector. Einfache Objekte, Zuckerln die man auch essen darf, Glühbirnen in Kette, die man zu Feldern oder Skulpturen arrangiert hat, sind vor allem in der Multiplikation so symbolträchtig, dass keine weiteren ästhetischen Vorgaben gemacht werden müssen. Der Rest ist die Arbeit für die Betrachter. 

El Anatsui, 1944 in Ghana geboren, lebt in Nigeria - DUASA 1 ist ein gewaltiges Textilkunstwerk mit Einschlüssen von Materialien der Alltagswelt, ein Vorhang der nicht fällt, weil er schon das Stück, die Aufführung ist.

Mit "CLICK I HOPE" hat die Kuratorin Olga Sviblova den Russischen Pavillon zur Insel für Medienkunst mit brandaktuellen Inhalten gemacht. Medienkunst ist spärlich vertreten auf dieser Biennale. Vor einer Animation phantastischer Landschaften, die ästhetischer und weit radikaler als Second Life, Umwelt als grausame, schöne, neue Welt darstellt, stehen die 4 Künstler der Gruppe AES+F. Nach Musik von Wagner, entspinnt sich ein Kampf jugendlicher, ja kindlicher Götter, die rituelle Morde zu vollführen scheinen, und dennoch nicht zu Tode kommen. Zeiten und lineare Erzählformen scheinen ebenso aufgehoben wie klar ausgewiesene Techniken und Begriffe, alles ist in Bewegung. Ein als Tryptichon angelegtes Video, inkludiert virtuelle Welten, während die Darsteller wie Wäschereklame aus Hochglanz-Modezeitschriften posieren.

Alexander Ponomarev und Arseny Mescheryakov haben eine Bilddusche kreiert, die man nicht abstellen kann. Der Informationsfluß (über tausend TV-Programme laufen gleichzeitig auf Monitoren) wirkt als Gehirnwäsche, beinhaltet allerdings die Scheinfreiheit umzuschalten auf Bereiche wie Sport oder Nachrichten.

Andrej Bartenev agiert im Bereich Lichtmusiken, Audioskulpturen und performativen Auftritten, seine Arbeit: Connection Lost / Field of Lonely Hearts, läßt all die Klischeebilder kreisen, sich multiplizieren ohne sich dann letztlich zu berühren.

Julia Milner hat ein Display auf der Fassade des Pavillons installiert, auf dem via TouchScreen Besucher auf ihrer Webseite das Wort "I HOPE", aufgezeichnet in 50 Sprachen, anklicken können in einer Art Wettbewerb der Sprachen, die Zahl der Zugriffe wird angezeigt. NetArt als Web 02 reagiert auf die Hits durch ein anpassen der Größe der Buchstaben - ungewöhnlich ist lediglich der positive Ansatz - nicht töten, sondern hoffen!

www.clickihope.com