Das Thema des steirischen herbst 09 war gut gewählt: "All the same: Was gilt, wenn alles gleich und gültig ist" das ist eine gute Frage, und Kunst stellt eben oft Fragen, weit eher als sie schlüssige Antworten gäbe. Mit der Eröffnung in der List Halle umfunktioniert zum TEMPEL DER VERNUNFT konnten parallel viele Antworten gegeben werden. Schon beim Eingang gab es schräge Reden und als Starthilfe flatterten Gedichte herunter, um ja, vielleicht mitbeten zu können. Es gab auch ein Brettspiel: Wege durch den Tempel der Vernunft.

Das Brettspiel Wege zum Tempel der Vernunft hat natürlich noch das Spielbrett und Figuren zum ausschneiden.

Im Tempel der Vernunft gab es, wie könnte es anders sein viel Unvernünftiges. In wabenartig aneinandergefügten Kojen saßen Persönlichkeiten aus vielerlei Berufen. Um Kunst im üblichen Sinne ging es nicht. Man konnte zum Beispiel zur Sprechstunde einer Ärztin - wenn man zu lange sprach läutete der Wecker, daneben hielt ein anderer Arzt Volksreden gegen die Homeopathie. Es gab auch einen Schießstand, der so ausgelegt war, dass man bezüglich der Waffen beraten wurde, soferne man kundtat, wofür man sie brauchen wollte. In einer anderen Koje konnte man einem politischen Diskurs folgen, der direkt vor Ort spontan Themen aufrollte, solange den Rednern was einfiel.

Je länger man aber in den unterschiedlichen Kojen unterwegs war um so verwirrter erschien die Lage. Zudem wurde man ja in den meisten Kojen zur Mitarbeit in irgend einer Form aufgerufen, war also Teil der Verwirrungen.

Utopie und Monument I ist eine Ausstellung im Öffentlichen Raum an mehreren Orten, für Ortsunkundige aber nicht ganz leicht erschließbar, nicht zuletzt dadurch, weil man beim herumwandern auch auf andere Monumente stieß, die nicht zum aktuellen Angebot gehörten, und vielleicht gerade darum besonders berührten. Das Denkmal  für den Versuch eine Sprache zu finden, die neu erfunden für alle da sein sollte, um keine Volksgruppe zu kränken, oder zu bevorzugen steht an einem netten gemütlichen Platz im Annenviertel. Der Gedanke war sicher gut, doch ist letztlich nichts daraus geworden, die Kunstsprache konnte sich nicht durchsetzen. Das Annenviertel konnte schon deswegen nicht leicht gefunden werden, weil es das im Bewußtsein auch lange ortsansässiger Grazer garnicht im Sprachgebrauch gibt. Oder, der Platz der Freiwilligen Schützen, ist schon wenn man bei der Kassa im Kunsthaus fragt nicht bekannt, mit dem kleinen Plan findet man mal mehr mal weniger als man sollte, so z.B. ein Budhistisches Denkmal, oder diese schöne Platte, die an die Gründung und die Aktivitäten der Kinderfreunde erinnert. Das kann aber auch an mir liegen, jedenfalls habe ich Graz für mich ganz neu erschlossen, mit der Vernunft der Unvernunft.

Ob das die Leute verstehen, vor allem die Grazer, und noch mehr die Fremdarbeiter, die da vorbeigehen? Kunst im öffentlichen Raum braucht starke Kontexte und emotionale Anknüpfungspunkte. Baustelle Religion?

Das Schauhaus als temporärer Bau der das Kartenbüro enthielt, kam jedenfalls gut an bei der Bevölkerung.

Eine Skulptur, die neue Blicke auf Graz bietet, gefällt auch mal spontan, darunter kann man sich was vorstellen. Wenn man so durch die Gegend irrt, und immer wieder Leute fragt, kommt man ja ins Gespräch, mitunter ausufernd.

Eine Moschee als Zeltlager wird möglicherweise von beiden Seiten als Provokation gelesen, von den Grazern, die sich so nicht verhüttelt sehen wollen und den Muslimen die eine solche Verkleinerung ins Zeltmodul vielleicht auch nicht schätzen. Bei Kunst im öffentlichem Raum wird halt immer vergessen, dass ja dort nicht gleichzeitig die hochtheoretischen Kuratoren herumstehen, um jederzeit die dazupassenden Erklärungen abzugeben. Somit ist der Diskurs, wenn er überhaupt stattfindet, ein sehr emotionaler. Es besteht auch ein Unterschied zu den herkömmlichen Monumenten, die gewöhnlich in einem Park, an geschützten Stellen, oder sonstwie liebevoll eingebettet sind - diese Kunst ist zum drüberstolpern angelegt, sie steht im Weg.

Beim Underground ist es wieder umgekehrt, die hat niemand ausgesucht, sie haben aber dennoch eine community.

    www.tiefparterre.net

Der steirische herbst ist jetzt wieder so wie in den Anfängen, recht frisch und unangepaßt. Offenbar schielt man hier nicht so exzessiv auf die Besucherquoten, und macht nicht dauernd nach, was man woanders schon gesehen hat. Die Ausstellungen in den dafür vorgesehenen Häusern sind professionell gemacht, und ergänzen sich. Im Kunsthaus 2 Ausstellungen die ineinander übergehen, Painting real, Warhol, Wool, Newman, und Screening real, Conner, Lockhart, Warhol. Im geschützten Ambiente des Kunstbaues kann man sich natürlich gelassen theoretischen Erwägungen hingeben, nachvollziehen inwieweit die Intentionen des Kurators aufgehen, die Werke und Künstler Zeitstücke und Kunstkriege wieder beleben. Die Camera Austria im Kunsthaus hat sich für Artur Zmijewski entschieden, der als Reporter ohne Auftrag Demonstrationen filmt, wodurch sie auch ihre ursprüngliche Härte und ihre ursprüngliche Intension und emotionale Entwicklung spiegeln - es soll ja hier nicht irgendeine Partei, Richtung, oder die Geilheit der Leute auf Sensationen befriedigt werden, wie so oft entwickeln Künstler als Zeitzeugen eine feinere Hand bei der Dokumentation. Letztlich entsteht überhaupt die Frage, warum man den Diskurs nicht wieder vermehrt in den diversen Häusern austrägt, denn was da in Kunstkreisen als engagiert gilt, dieser ständige Drang an die Öffentlichkeit, diese Reflexion der Reflexion, der Reflexion, diese immer komplexer werdende Sprache der Theorie, diese immer theoretischer werdenden Kunstartikulationen, wer soll das verstehen, und in welcher Sprache?

Wenn die Bildende Kunst nicht mehr ohne eine Tonne Text auskommt, hat sie ihr eigentliches Kapital verspielt.